Mit Einschub bespielt der Künstler Jürg Hugentobler (*1955) als erster die Ausstellungsplattform Viewer des Kunstvereins Solothurn. Ein doppelter Glücksfall: Der in Solothurn
wohnhafte Künstler hat nicht nur den Viewer entworfen und kennt das Objekt deshalb wie kein zweiter, es zeichnet ihn auch ein feines Sensorium für Fragen des Raums und der Architektur aus. Mit
seinem Einschub reizt Jürg Hugentobler den Raum des Viewers aus und macht ihn erst eigentlich sichtbar.
Der Begriff «Einschub» ist vor allem im Schrift- und Druckwesen gebräuchlich, um einen eingeschobenen Satz oder Teil eines Textes zu bezeichnen. Auf der Einladung zur Ausstellung von Jürg
Hugentobler steht: «Einschub ist Platzhalter und Leerstelle zugleich, ist leerer Raum im leeren Raum.» Steht man vor dem Viewer auf dem Amthausplatz, leuchtet diese hintergründige
Beschreibung sogleich ein. Jürg Hugentobler hat dem Viewer ein taupe bemaltes Holzhaus eingeschoben, das das gleiche Volumen wie der Ausstellungsraum hat und mit seinen Ausmassen die
Form des Viewers ausfüllt. Gleichzeitig stellt der Einschub wie der Viewer leeren Raum dar und bietet damit Platz für einen weiteren möglichen Einschub – man denkt an das Prinzip der
russischen Matroschka-Puppen, die vielfach verschachtelt ineinander stehen. Die Neigung des Einschubs führt zu einem spannungsvollen Verhältnis mit der Form des Viewers. Bei der Betrachtung des
Gehäuses mit seinen Schrägen scheint man beinahe den Halt unter den Füssen zu verlieren.
Geheimnisvoll und unheimlich wirkt das Gebilde im Viewer. Die Raumsituation ist beengt, der leere Raum gefüllt mit leerem Raum. Diese Widersprüchlichkeit zwischen erdrückender Enge und
befreiender Leere findet sich wiederholt im Werk von Jürg Hugentobler, ebenso wie das Spiel zwischen Mikro- und Makrokosmos und die Verschiebung von Realitätsebenen. Dies führt im Kopf zu ebenso
grosser Haltlosigkeit wie Freiheit zum Assoziieren. Jürg Hugentobler spielt mit Dimensionen: Stellt bereits der Viewer die Frage nach der Dimension, in dem er sowohl als Modell wie aber
als reale «Ausstellungsplattform» betrachtet werden kann, reagiert Jürg Hugentobler auch mit dem Einschub auf die Vorstellung realer oder modellhafter Welt. Das reale Holzhaus präsentiert sich im
Viewer auch als Modell.
Wie virtuos Jürg Hugentobler mit Räumen umzugehen vermag hat er vielfach bewiesen, so etwa in seiner Ausstellung im Kunstmuseum Solothurn 2004 oder in der Ausstellung «Chambresville» 1999 in der
Konsumbäckerei in Solothurn, wo er im Dachstock ein Zimmer aus Holz und Styropor einbaute. Er schrieb dazu: «Auf der verfügbaren Grundfläche, einem schiefwinkligen Trapez, baue ich ein Zimmer und
lasse es in die Dachschräge hineinkippen. Der Raum, begehbar auf dem Betonboden des Dachgeschosses, erzeugt ein Gefühl des Schwebens» (zitiert in: Jürg Hugentobler, Ausstellungskatalog
Kunstmuseum Solothurn, 2004, S. 7). Die ursprüngliche Eigenschaft von Räumen, Gebilden, werden durch Jürg Hugentoblers Eingriffe verstärkt und bestimmte Stimmungen und Atmosphären evoziert. Auch
in der Videoarbeit Raumerweiterung (2001) hat er zwei identische, modellhafte Räume ineinander hineingebaut. In kurz aufeinanderfolgenden Bildern hat er die Dekonstruktion des inneren Raumes
gefilmt, wobei mit zunehmender Zerstörung im Film der äussere, gleiche Raum sichtbar wird. Eine kafkaeske Ausweglosigkeit entsteht.
Auch beim Einschub kommt das Gefühlt der Unsicherheit auf. Als Grundlage dient Jürg Hugentobler für seinen Einschub ein Holzhaus, wie es in Baumärkten für den Garten oder Schrebergarten
angeboten wird. Die massgeschneiderten Holzstücke hat der Künstler so bearbeitet, dass er eine maximale Form mit dem Minimum des Hauses erreicht. Die Winkel des Hauses etwa entsprechen genau der
Vorgabe des Bauplans, was überrascht und verdeutlicht, wie gross das Volumen des Viewers ist. Bedeutend ist der Spalt in der Mitte, der das bemalte Holzhaus in zwei Hälften unterteilt. Der
Schnitt führt zu einer Verschiebung der Form. Durch den kleinen Zwischenraum sieht man durch das Holzhaus – und den Viewer – hindurch. Ein Blick in das Innere des Hauses bleibt aber verwehrt. So
sind auch die vorgesehenen Fenster mit Holzbrettern zugedeckt und erinnern nun mit dem im gleichen Grauton bemalten Rahmen vielmehr an ein monochromes Bild. Der Schnitt erinnert an die Cuttings
von Gordon Matta-Clark (1943–1978). Der US-amerikanische Architekt und Konzeptkünstler hat mit einer Motorsäge Fassaden, Decken und Böden von Gebäuden durchschnitten. Seine Interventionen und
Dekonstruktionen führten zu neuen Sichtweisen und Annäherungen an die Architektur. Auch Jürg Hugentoblers Holzhaus ist eine Weitererzählung. Es ist eine poetisch-rätselhafte Verschiebung, die
ihren Ausgangspunkt in der Montageanleitung des Holzhauses hat. Das Konkrete wird durch Jürg Hugentoblers Intervention verschoben hin zu einer rätselhaften, ja fast magischen Welt, die gleichsam
aus den Fugen gerät.
Patricia Bieder